Carlo Schwarz hat zusammen mit Karsten Müller in der Studie „Fanning the Flames of Hate: Social Media and Hate Crime“ die Auswirkung von Hasskommentaren auf der Facebookseite der AfD auf füchtlingsfeindliche Gewalttaten analysiert. Beide forschen an der University of Warwick. In ihrer Studie konnten sie einen eindeutigen statistischen Zusammenhang zwischen Hass im Netz und Gewaltstraftaten nachweisen. Im Interview mit achtsegel.org erklärt Carlo Schwarz, wie die beiden Wissenschaftler vorgegangen sind.
In der Fachdebatte zum Thema „Hass im Netz“ sind sich viele einig: Hasskommentare im Netz tragen zu Gewalt gegen gesellschaftliche Minderheiten bei. Manche gehen so weit zu sagen: Soziale Netzwerke seien Katalysatoren für Hass und Hetze. Sie haben den Zusammenhang zwischen flüchtlingsfeindlichen Postings und Übergriffen untersucht. Wie stark ist dieser Zusammenhang?
Wir können im zeitlichen Zusammenhang eine klare Korrelation feststellen: In Wochen mit vielen Anti-Asyl-Postings gab es mehr Übergriffe als in Wochen mit wenigen entsprechenden Beiträgen im Netz.
Können sie das in Zahlen ausdrücken?
In Wochen in denen wir vier zusätzliche Posts auf der von uns untersuchten AfD-Seite beobachten konnten, fand im Durchschnitt ein zusätzlicher Angriff auf Geflüchtete statt. Wir können aber alleine auf Basis dieser Resultate keine Aussage zur Richtung der Kausalität machen. Ein Beispiel: Nach der Silvesternacht in Köln gab es eine Häufung an flüchtlingsfeindlichen Übergriffen und flüchtlingsfeindlichen Kommentaren im Netz. Beides könnte ein Ergebnis dieses Ereignisses sein, ohne dass es einen Zusammenhang zwischen den Kommentaren und einzelnen Straftaten gibt.
Wir versuchen jedoch in unserer Studie, von solchen temporären Ereignissen und den daraus folgenden Trends komplett zu abstrahieren.
Wie haben Sie das methodisch angestellt?
Unsere Analyse basiert darauf Gemeinden miteinander zu vergleichen, welche sich zwar durch das Maß der Nutzung sozialer Medien unterscheiden, sich ansonsten allerdings sehr ähnlich sind. Wir haben dabei festgestellt: In Gemeinden mit höherer Nutzung sozialer Medien, fanden mehr Straftaten gegen Geflüchtete statt und dies insbesondere in Wochen mit vielen flüchtlingsfeindlichen Kommentaren im Netz. Insgesamt sieht es sehr stark danach aus, dass der erklärende Faktor für diese Unterschiede nicht im Bereich sozialer Unterschiede, oder dem Stimmenanteil rechtsextremer Parteien zu finden ist, sondern in der stärkeren Nutzung sozialer Medien. In Gemeinden mit mehr AfD Stimmen finden mehr Übergriffe auf Flüchtlinge statt. Was im Rahmen unserer Studie allerdings interessant ist, ist die Frage, ob die Gemeinden mit mehr AfD Stimmen auch stärker auf die Menge an flüchtlingsfeindlichen Kommentaren online reagieren. Und dies ist gerade nicht der Fall. Sondern es sind nur die Gemeinden mit starker AfD Facebook Nutzung. Es ist gerade dieses Ergebnis, dass es unwahrscheinlich macht, dass es nur rechtsradikale Tendenzen vor Ort sind, die unsere Ergebnisse erklären können.
Wie erklären Sie sich diesen Zusammenhang?
Unabhängig davon, ob man aktiv auf die AfD-Seite oder ähnliche Seiten geht, wird man in sozialen Medien verstärkt mit Hassbotschaften gegenüber Geflüchteten konfrontiert. Diese Konfrontation mit negativen Nachrichten über Geflüchtete kann dazu führen, dass sich Leute angestiftet sehen, gegen die vermeintlichen Missstände vorzugehen. Also gegen Geflüchtete straffällig zu werden.
Also kommen auch Sie zu dem Ergebnis, dass soziale Medien massiv zur Verbreitung von Hass und so zu Straftaten anheizen?
Wie groß der Beitrag sozialer Medien im Vergleich zu anderen Einflüssen ist, ist schwer zu sagen. Wir kommen in unserer Studie zum Schluss, dass soziale Medien einen messbaren Einfluss haben. Wir konnten sogar sehen, dass Internetausfälle in Gemeinden die Anzahl an Straftaten gegen Geflüchtete reduzieren. Die Frage ist wie geht man damit um?
Was sind Ihre Vorschläge? Das Internet abschalten, wäre wohl kaum der richtige Weg…
Keinesfalls. Tatsächlich ist das eine hochkomplexe Frage. Wir brauchen aber auf dem Gebiet noch mehr Forschung, um adäquate Antworten zu finden. Ich sehe auch große Probleme beim NetzDG, weil mit dem Gesetz einem Konzern die Entscheidung über die Rechtsbeurteilung überlässt. Man sollte aus meiner Sicht mehr in Medienkompetenz investieren, damit Leute sich über die Echokammern bewusst sind, in denen sie sich online bewegen.
Für Ihre Studie haben Sie auf Daten der AfD-Facebook-Seite zugegriffen. Wieso ausgerechnet diese Seite?
Uns ging es in unserer Studie nicht spezifisch um die Alternative für Deutschland. Aber die AfD- Seite gibt uns einen guten Messwert für den Umfang und die Verbreitung von flüchtlingsfeindlichen Kommentaren. Das liegt daran, dass die AfD die einflussreichste und lautstärkste Stimme im rechten politischen Spektrum ist.
Sie haben nur Daten von der zentralen AfD-Facebook-Seite der Bundespartei angeschaut.
Richtig. Die regionalen Ableger haben nicht die Reichweite wie die bundesweite Seite. Außerdem werden Aussagen führender AfD-Politiker sowieso auf der Hauptseite geteilt.
Welchen Zeitraum haben Sie sich angeschaut?
Begonnen haben wir im Januar 2015 und Beiträge bis Februar 2017 erfasst. Für diesen Zeitraum hatten wir Daten von der Amadeu-Antonio-Stiftung über Angriffe und Straftaten gegen Geflüchtete.
Sie haben sicherlich nicht diese tausenden Postings gelesen. Wie können Sie ausschließen, dass andere Meinungsäußerungen, beispielsweise von Menschen, auf der AfD-Seite, die sich gegen Rechts positionieren, das Ergebnis verfälschen?
Tatsächlich haben wir viele Posts selbst gelesen, insbesondere die, die wir ausgewertet haben. Das Problem, dass sie schildern, könnte allenfalls bei Post und Kommentaren von Nutzern bestehen, da die AfD natürlich nicht gegen sich selbst Position bezieht. Jedoch sind flüchtlingsfreundliche Kommentare auf der AfD-Seite im Vergleich zu anderen Äußerungen verschwindend gering. Es gibt dort nur sehr wenig Gegenrede.
Haben Sie technische Möglichkeiten zur Auswertung und Einschätzung der gesammelten Beiträge in Erwägung gezogen? Die hätten doch sicherlich Gegenrede aussortieren können?
Wir haben entsprechende Tools ausprobiert. Allerdings stoßen diese, beispielsweise bei ironischen Kommentaren schnell an ihre Grenzen. Deshalb haben uns die Algorithmen dort nicht weitergebracht. Aber wie gesagt: Die Anzahl an Postings pro-Flüchtling ist niedrig, dass sie keinen Einfluss auf unsere Ergebnisse hatten.
Von der AfD-Seite haben Sie alle Daten erfasst, also nicht nur jene Beiträge, die originär von der Partei ins Netz gestellt wurden.
Unsere Untersuchung schließt sämtliche Aktivitäten auf der AfD-Seite ein. Also auch Kommentare und sogar Likes auf Postings und Kommentare. Die AfD erlaubt es im Gegensatz zu anderen Parteien, ihren Usern dort ebenfalls zu frei posten. Sie geben dort keinerlei Richtlinien vor, nach denen sie Kommentare entfernen. Deshalb erleben wir auf der AfD-Seite einen viel aktiveren Austausch als auf anderen Parteiseiten.
Also sind längst nicht alle Postings, die Sie untersucht haben, von der AfD verfasst worden?
Nein, weniger als 5.000 Posts der über 176.000 stammen ursprünglich von der AfD. Die restlichen kommen von Usern, die auf der Seite der AfD gepostet haben.
Trotzdem liegt es nahe, nach der Verantwortung der AfD für den Anstieg an Straftaten gegenüber Geflüchteten zu fragen. Die laxen Regeln in Bezug auf Kommentierungen, lädt ja dazu ein, Hasskommentare zu posten. In Ihrer Studie findet sich dazu sogar eine Zahl. Sie schreiben, dass es ohne die Inhalte auf der AfD-Seite hypothetisch 13 Prozent weniger Angriffe auf Flüchtlinge gegeben hätte.
An dieser Stelle ist Vorsicht angebracht. Das ist ein Wert auf Basis eines linearen statistischen Regressionsmodels, der nicht direkt übertragbar auf Verhältnisse in der Realität ist. Was wir damit zeigen wollten ist insbesondere, dass der Effekt sozialer Medien und von Hasskommentaren im Bezug auf das Aufkommen von Straftaten alles andere als gering ist. Man kann nicht sagen, „ach die zwei, drei Übergriffe, die durch Hate Speech ausgelöst werden, die kann man vernachlässigen“. Dies ist nicht der Fall. Der Effekt ist sehr groß. Je nach Berechnung kommt man auf unterschiedliche Zahlen.
Okay, jenseits von statistischen Berechnungen und Zahlen: Die AfD postet selbst Beiträge, die gegen Geflüchtete gerichtet sind und lässt es zu, dass User auf ihrer Seite Hassbeiträge schreiben. Muss man hier nicht von einer Mitverantwortung für flüchtlingsfeindliche Stimmungen sprechen?
Die AfD trägt sicherlich nicht dazu bei, eine konstruktive Debatte über Flüchtlinge zu führen. Man kann natürlich unzufrieden sein mit der Flüchtlingspolitik. Die AfD zeigt aber kein Interesse daran, dass auf ihrer Seite zielgerichtet und lösungsorientiert diskutiert wird. Aber an dieser Stelle sollte man auch klarstellen: Viele der Kommentare auf der Seite sind nicht rechtswidrig. Es besteht also keine juristische Verpflichtung diese zu löschen.
Die Amadeu Antonio Stiftung hat in ihrer Sammlung an Vorfällen auch die Schwere der Taten unterschieden. Konnte Ihre Studie diesbezüglich auch Unterschiede feststellen?
In der Tat. Für das Aufkommen an flüchtlingsfeindlichen Demonstrationen konnten wir beispielsweise keinen Zusammenhang zum Aufkommen von flüchtlingsfeindlichen Kommentaren feststellen. Erschreckenderweise gibt es diesen Effekt und Zusammenhang jedoch sehr eindeutig bei körperlichen Übergriffen, Sachbeschädigungen an Flüchtlingsunterkünften und Brandanschlägen.
In Ihrer Studie haben Sie auch auf die USA ausgeschaut. Dort haben Sie sich den Twitter-Account von Donald Trump ausgewertet. Bestätigen sich dort Ihre Ergebnisse aus Deutschland?
Für Trump können wir auf Grund der Datenverfügbarkeit keinen kausalen Zusammenhang nachweisen. Wir können lediglich einen zeitlichen Zusammenhang zwischen Trump-Tweets und Übergriffen auf Minderheiten sehen. Allerdings besteht dieser Zusammenhang nur für den Zeitraum seit Trumps Präsidentschaftskandidatur. Es ist allerdings wichtig zu betonen, dass dieser zeitliche Zusammenhang auch andere Erklärungen zulässt. Bislang können wir hier nur von einem Indiz dafür sprechen, dass der Effekt, den wir in Deutschland beobachten, auch in den USA vermutlich festzustellen wäre.
Vielen Dank für Ihre interessante Studie und das Interview.
Die gesamte Studie findet sich hier: https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=3082972