Doppelt kommentiert: Pro und Kontra zum NetzDG

Am Freitagvormittag verhandelt der Bundestag das Netzdurchsetzungsgesetz. Das Gesetz soll helfen, die Anzahl an Hass-Postings im Netz zu reduzieren. Vorab sorgte der Gesetzesentwurf für heftige Diskussionen. Auch bei uns gehen die Meinungen über das Gesetz auseinander. Lesen Sie hier ein Pro und Kontra der beiden Achtsegel.org-Gründer.

Besorgte Big-Player“

Die Untätigkeit der Konzerne machte staatliches Handeln notwendig

„Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen“ – auf der Straße gilt dies für links eingestellte Menschen als Gewissheit. Im Netz braust derweil ein Sturm der Entrüstung auf, wenn das Netzdurchsetzungsgesetz (NetzDG) diese Konsequenz auch im digitalen Raum umsetzen will. Aus allen Ecken hört man plötzlich Begriffe wie „Zensur“ und Verweise auf die Meinungsfreiheit. Empört stimmen da auf einmal auch linke Initiativen in den rechten Chor der letzten Jahre mit ein. Denn der rechte Rand sieht sich schon seit Jahren im freien Rederecht eingeschränkt und wittert überall die „Stasi“ am Werk. Gegängelt fühlen sich die Rechtsradikalen durch Paragraphen wie dem der Volksverhetzung oder dem Zeigen verfassungsfeindlicher Symbole. Erstaunlich ist daher die Aufregung um das NetzDG, denn im Kern geht es dem neuen Gesetz ebenfalls um genau diese Paragraphen. Wer das Gesetz liest, findet dort keine Passagen, in denen das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung in Frage gestellt wird. Stattdessen steht dort ausdrücklich, dass es um die Löschung strafbarer Inhalte geht. Seit Jahren weisen Expert*innen daraufhin, dass volksverhetzende Kommentare, Aufrufe zu Gewalt gegen Geflüchtete genau die Brandbeschleuniger sind, die letztendlich für die tatsächlichen Brandanschläge auf deren Unterkünfte sorgen.

Der Staat hat dabei zu lange tatenlos zugeschaut. 988 Anschläge auf Asylbewerber*innenunterkünfte zählt das Bundeskriminalamt allein im Jahr 2016. 2545 Straftaten gegen Geflüchtete außerhalb der Unterkünfte im selben Jahr. Das lange Zögern des Staats hat auch mit einer falschen Strategie zu tun: Man setzte auf die Kooperation der großen Social-Media-Anbieter. Die Dienstanbieter setzten sich schließlich mit generöser Geste an die Runden Tische, die ihnen da geschaffen wurden. In dreister Weise driften jedoch nach außen postuliertes Engagement und tatsächliches Handeln der großen Player auseinander. Hinweise normaler User*innen auf strafbare Inhalte werden so selten gelöscht, dass man mit Fug behaupten kann, die Anbieter nehmen diese schlicht weg nicht ernst. Noch während Facebook und Co letzten Herbst an den Runden Tischen der „Task Force“ saßen und ihren Willen nach Besserungen behaupteten, konnte auf Facebook eine bezahlte Anzeige für den illegalen Waffenhandel namens „Migrantenschreck“  geschaltet werden. Für ein paar lausige Euro aus der Hand eines untergetauchten Rechtsradikalen gibt Facebook also seinen Kurs gegen Hass im Netz auf: ein sehr billiges Engagement.

Wesentlich teurer dürfte die Kampagne des Konzerns gewesen sein, mit der man im Frühjahr Tipps gegen „Fake News“ auf großen deutschen Nachrichtenportalen bewarb. Allein, wer auf die Anzeige klickte, landete auf einer lieblos zusammengeklaubten Liste altbekannter Tipps. Auch hier dürfte die beabsichtige Wirkung der Kampagne in erster Linie der Rettung des Unternehmensimage gegolten haben – tatsächlich gegen „Fake News“ vorzugehen, war offensichtlich nachrangig.

Die Unternehmen beklagen derzeit mit großem Getöse, dass NetzDG zwänge sie dazu, auch Inhalte zu löschen, die nicht gesetzeswidrig sind, um Strafzahlungen zu verhindern. Gut möglich, dass diese Kampagne die allgegenwärtigen Rufe von „Zensur“ und „Unterdrückung der Meinungsfreiheit“ mit beschworen haben. So laut waren die Klagen der Konzerne, dass man schon fast eine neue Bezeichnung dafür braucht: Nach den „besorgten Bürgern“ erleben wir derzeit auch die „besorgten Big-Player“.

Also mal ein Ratschlag, so von Kunde zu Anbieter: Wenn ihr Strafzahlungen entgehen wollt, schult doch einfach mal eure Mitarbeiter*innen so, dass sie in der Lage sind strafbare Inhalte von nicht strafbaren zu unterscheiden. Stellt massiv neue Leute ein, damit alle Angestellten mehr Zeit haben, diese Entscheidung zu treffen und bezahlt sie ordentlich. Ändert eure Prozesse so, dass Beschwerden bei Mitarbeiter*innen landen, die die erforderlichen Kompetenzen haben.

Den Hass gegen Menschen auf euren Plattformen, der auch vor Straftaten keinen Halt macht, den habe ich jedenfalls gestrichen satt.

fj

Fingerspitzengefühl verlangt

Die Welle an Hasskommentaren und rassistischer Hetze in den Sozialen Medien in den vergangenen Jahren zeigt, dass es einen Handlungsbedarf gibt. Allerdings ist dabei Vorsicht geboten. Natürlich müssen die Betreiber der Sozialen Netzwerke in die Pflicht genommen werden. Dennoch sollte das Internet als neuer öffentlicher Raum auch denselben verfassungsrechtlichen Schutz genießen wie andere Medien- und Kommunikationsformen. Insbesondere, da das Internet von seiner Struktur her, die erste Kommunikationsplattform ist die eine strukturelle Gleichheit bei der Verbreitung von Ansichten herstellen kann.

Eingriffe in diese Sphäre der Öffentlichkeit erfordern deshalb Fingerspitzengefühl. Das verträgt sich schlecht mit dem Tempo in dem das NetzDG beschlossen werden soll. Der vermurkste erste Entwurf des NetzDG wurde abgemildert, nachdem ihn die Mehrheit vom Rechtsausschuss des Bundestages bestellten Experten als verfassungswidrig befunden haben. Dennoch gibt auch weiterhin berechtigte Kritik an dem Entwurf der jetzt im Bundestag beschlossen werden soll.

Die Debatte um das Schmähgedicht von Jan Böhmermann hat gezeigt wie kompliziert eine Bewertung rechtswidrigen und nicht rechtswidrigen Äußerungen sein kann. Eine Recherche über Facebook zeigte vor zwei Monaten, dass deren Mitarbeiter teilweise nur 10 Sekunden Zeit haben, über eine Löschung von Inhalten zu entscheiden. Im Entwurf zum NetzDG wird vorgeschrieben, dass offensichtlich rechtswidrige Inhalte innerhalb von 24 Stunden gelöscht werden sollen. Nicht offensichtlich rechtswidrige Inhalte sollen an eine „regulierte Selbstregulierung“ überstellt werden. Wo die Grenze zwischen offensichtlich und nicht offensichtlich liegt wurde dabei nicht definiert. So besteht weiterhin die Gefahr, dass die Sozialen Netzwerke ihre Mitarbeiter anweisen im Zweifelsfall eher zu löschen. Auch was die „regulierte Selbstregulierung“ am Ende sein soll, scheint erst geklärt zu werden nachdem das Gesetz beschlossen ist.

Rassistische Stimmungsmache im Netz ist für die Betroffenen verletzend und kann darüber hinaus zu Gewalttaten anstacheln. Eine Regulierung ist deshalb notwendig. Die Grundlage dafür wann und wie die gesetzlichen Regelungen dafür getroffen werden, sollte allerdings nicht vom Ende der Legislaturperiode und dem Wahlkampf abhängig sein.

pr

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