Doppelt kommentiert: Der Diskurs nach dem G20-Gipfel in Hamburg

Demokratie verteidigen

Beim freidrehenden Empörungsdiskurs dieser Tage gerät so einiges durcheinander. Wenn Peter Altmaier die Krawalle vom Freitagabend mit rechtem und jihadistischem Terrorismus gleichsetzt, ist das eine Verhöhnung der Opfer des IS und des NSU. Wenn Politiker behaupten den Rechtsstaat verteidigen zu wollen und im gleichen Atemzug sagen, über Verstöße gegen Grundrechte beim Polizeieinsatz in Hamburg dürfe man nicht reden, dann muss man sich fragen, ob diese Leute überhaupt verstehen was ein Rechtsstaat ist. Und das schlimmste daran ist, dass die Antwort lautet: Natürlich wissen sie es – die meisten von ihnen sind ausgebildete Juristen. Sie nutzen das Wort Rechtsstaat halt nur als bloße Floskel und legen ihn aus, wie es gerade politisch opportun ist.

In diesem Klima des Law-and-Order-Diskurses dürfen natürlich auch politische Schnellschüsse nicht fehlen. Und da man nach der selbst geschaffenen verbalen Aufrüstung natürlich nicht mehr differenzieren und abwägen kann, muss man in der Konsequenz dann auch wieder die schlechten Rezepte von früher auftischen. So kommt der CDU-Generalsekretär Peter Tauber wieder mit der Extremismus-Klausel um die Ecke. Die absurde Vorschrift bei dem der Staat von der Zivilgesellschaft verlangt sich zur Demokratie zu bekennen war schon unter der damaligen Familienministerin Christina Schröder gescheitert: Die überwiegende Mehrheit der Zivilgesellschaft lehnte es natürlich ab unter Generalverdacht gestellt zu werden und ein Urteil des Verwaltungsgerichtes Dresden erklärte sie für verfassungswidrig.

Die Extremismustheorie auf der diese Vorschrift beruht ist in der Politikwissenschaft höchst umstritten. Denn sie wird nicht an überprüfbaren Kriterien festgemacht, sondern ist ein relationaler Begriff. Was Extrem ist, wird dadurch definiert, wo die Mitte gerade steht. Ein solche Theorie schützt die Demokratie nicht. Das kann man auch in diesen Tagen beobachten, in denen versucht wird die berechtigte Kritik an einem dilettantischen Polizeieinsatz dadurch zu unterbinden, dass Kritiker in gleich in die Nähe des Extremismus gestellt werden.

Denn statt Fehler bei der Planung und Durchführung des G20-Gipfels einzugestehen und Konsequenzen daraus zu ziehen, markieren Scholz, Grote, de Maizière und andere jetzt lieber den starken Mann. Deshalb wird verkürzt und gleichgesetzt statt zu differenzieren. Das ist üblicherweise die Strategie des Populismus. Und so wundert es nicht, dass sie sich nun plötzlich im Einklang mit Hasskommentatoren und rechten Agitatoren im Internet finden, die auf Twitter in der vergangenen Woche durch Forderungen aufgefallen sind, dass die Polizei doch härter knüppeln soll.

Mit Demokratie hat dies alles wenig zu tun. Eine Demokratie lässt Protest nicht nur zu, sie versteht ihn als integralen Bestandteil von sich selbst. In einer Demokratie kann die Polizei nicht den Auftrag haben, Proteste zu schikanieren und zu verhindern. Das gleiche gilt für die Pressefreiheit. Journalisten willkürlich und ohne Begründung ihre Akkreditierung zu entziehen oder sie gar zu bedrohen ist in einer Demokratie nicht akzeptabel. Und es ist vor allem nicht akzeptabel, dass darüber im Nachhinein nicht geredet werden soll. Alle Demokraten sind in diesen Tagen gefordert ihre Stimme zu erheben und die Grundrechte zu verteidigen. Demokratie lebt von Meinungs-, Versammlungs- und Pressefreiheit; der Rechtsstaat durch die Unverbrüchlichkeit dieser Grundrechte. Wer hier aus Opportunismus und Populismus heraus Abstriche macht, geht Schritte in Richtung des Autoritarismus.

pr

Keine Klausel

Im Gegensatz zu Geld liegen Steine tatsächlich auf der Straße. Damit ist eigentlich schon erklärt, weshalb Krawalle, wie in Hamburg gesehen, keine staatliche Finanzierung durch ein Bundesprogramm brauchen. Im Umkehrschluss gilt: Wer mit der Extremismustheorie Krawallmachern den Geldhahn zudrehen will, kann damit nur scheitern, weil die auch bisher ihre Feuerzeuge nicht aus staatlichen Mitteln finanzierten. Wenn CDU-Generalsekretär Tauber nun nach der Extremismustheorie krakeelt, dann begeht seine Partei binnen weniger Wochen gleich zweimal dieselbe Dummheit. Wir erinnern uns: Vor ein paar Wochen war die größte Sorge des besorgten Bürgertums noch der Islam im Allgemeinen und die Burka-Trägerin im Besonderen. Der CDU-Innenminister De Maizière verkündete damals mit stolzem Inbrunst und schwachbrüstiger Grammatik via Bild-Zeitung: „Wir sind nicht Burka“ – und bestätigte damit das besorgte Bürgertum in seinen vorgeschobenen Sorgen, die nur den Hass verdecken sollen, der darunter Blüte treibt.

Wenn Tauber nun die Wiedereinführung der Extremismustheorie fordert, um Hamburger Verhältnisse zu verhindern, dann wiederholt er dieses unsinnige Manöver: Durch seine Forderung wird der rechte Treppenwitz von der staatlich alimentierten “Antifa“ auf einmal Wahrheit.
Das ist das eine Problem bei seiner Forderung. Das kleinere der beiden Übel, denn das Größere bauscht keine rechten Phantastereien auf, sondern könnte das gesellschaftliche Zusammenleben um Jahrzehnte zurückwerfen. Denn auch daran erinnern wir uns: Die Extremismusklausel hatten wir schon einmal in einem Bundesprogramm stehen. Wir hatten damals tatsächlich Schwierigkeiten so manche Position und Gruppe an den Tisch zu holen, wenn es darum ging, einen großen Konsens, beispielsweise gegen rechte Umtriebe zu erreichen. Nicht von ungefähr, sondern durchaus mit Fug und Recht merkten einige Gruppen an: Da steht Schwarz auf Weiß (in Form der Extremismus-klausel), dass wir bei dieser Veranstaltung nicht willkommen sind.

Die Extremismusklausel mag für staatsrechtliche Debatten irgendetwas bringen. Vielleicht hilft sie dem Verfassungsschutz oder der Polizei beim Ausfüllen irgendwelcher Statistik-Bögen. Für die Arbeit draußen in der Gesellschaft ist diese Brille, die quasi mit verbunden Augen blindlings alles aus dem Spielfeld drängt, was nicht dreimal im Satz freiheitlich demokratische Grundordnung unterbringt so gar nicht hilfreich. Denn die Gesellschaft ist wesentlich komplexer als die stupide Vorstellung einer Wippe, die im Gleichgewicht zu halten sei – die Schablone der Extremismustheorie. Ein Beispiel: Der einzelne Angriff auf eine Flüchtlingsunterkunft oder ihre Bewohner*innen, verübt von einem bislang politisch unauffälligen Familienvater, mag nicht unbedingt geeignet sein, um die staatliche Grundordnung in ihren Grundfesten zu erschüttern. Aber vor Ort sind davon jedes Mal Menschen in ihren Grundfesten erschüttert. In nahezu all diesen Fällen, fällt daraufhin nicht der große Tross der Berliner Politik ein und verspricht unbürokratische und schnelle Hilfe. Vor Ort sind dann die lokalen Initiativen gefragt und sie können am besten reagieren, wenn sie sich einig sein dürfen. Deshalb sollte der Staat grundsätzlich in solchen Situationen jede Gruppe willkommen heißen, ganz gleich, ob sie aufs Wirtschaftssystem angesprochen vom Kommunismus, Anarchismus, Kapitalismus oder sonst was träumt. Entscheidend ist, dass all diese Gruppen sich in der grundsätzlichen Gleichheit aller Menschen einig sind.

Das reicht und das muss reichen. Denn allein 2016 zählte das Bundeskriminalamt 3500 solcher An- und Übergriffe. Solche Dimensionen wiederum erschüttern die Grundfeste dieses Staates sehr wohl. Auch wenn die Rechnung blöde ist – schade dass man sich dieser Tage angesichts diverser Vergleiche (auch von SPD-Politiker*innen) genötigt sieht sie aufzumachen: 3500 Angriffe bedeuten über das Jahr gerechnet abgerundet 9,7 Angriffe pro Trag. 560 Menschen wurden dabei 2016 verletzt – also im Schnitt alle drei Tage zwei Menschen. Angst und Schrecken erleben einige Gruppen in diesem Land alltäglich. Viele der Betroffenen haben keinen deutschen Pass, Anwohner*innen und Mitmenschen in ihren/unseren Vierteln und Nachbarschaften sind sie trotzdem. Also, Herr Generalsekretär und alle anderen Extremismusklausel-Krakeeler: Wir haben alle Hände voll zu tun. Stehen Sie uns dabei doch bitte nicht im Weg rum.

fj

Schreibe einen Kommentar